Der Aussichtsturm auf der Jöhstädter Höhe

Der Initiative des 1878 in Schneeberg gegründeten Erzgebirgsvereins ist es hauptsächlich zu verdanken, daß viele unserer umliegenden Berge mit Aussichtstürmen und Unterkunftshäusern ausgestattet sind. Die touristische Erschließung des Erzgebirges war und ist eine der wesentlichen Aufgaben, die sich der Erzgebirgsverein gestellt hat. So begann man schon bald nach der Gründung des Hauptvereins in den örtlichen Zweigvereinen mit Spendenaufrufen für den Bau von Aussichtstürmen, Wanderwegen und –hütten zu werben und zu sammeln, um Wanderer und Sommerfrischler aus den Großstädten am Wochenende in unserer schöne Mittelgebirgslandschaft zu locken.

Durch die neu entstandenen Eisenbahnverbindungen waren gute Voraussetzungen für den Tourismus gegeben.

Bereits 1888 wurde das Fichtelberghaus eingeweiht, 1892 der Aussichtsturm auf dem Scheibenberg und auch auf dem Pöhlberg sollte schon bald ein Unterkunftshaus mit Aussichtsturm entstehen (Einweihung am 12. Juli 1897).

Da wollte natürlich der Jöhstädter Erzgebirgszweigverein nicht tatenlos zusehen. Am 24. Januar 1894 wurde eine Sitzung im Hotel "Stadt Prag" abgehalten und der schon lange gehegte Wunsch als Beschluß gefaßt, auf der Jöhstädter Höhe wird ein Aussichtsturm errichtet ! Ein Turmbau-Ausschuß wurde gebildet, die Stadt stiftete das Bauholz, das schon im Februar 1894 im kommunalen Wald geschlagen wurde und stellte auch den Bauplatz zur Verfügung. Der Platz war gut gewählt: genau auf halbem Weg zwischen Marktplatz und dem "Schützenhaus" (Schullandheim) 12 m rechts neben der Königswalder Straße, in einer Höhe von 820 m über NN, fast so hoch wie der Pöhlberg (832 m) und 120 m über der Morgensonne !!!

Durch Sammlung und Spenden waren 220 Mark zusammengekommen. Den Rest der Bausumme deckte man durch 60 Stück "Anteilscheine" (Aktien !) zu je 5.- Mark. Unter Baumeister Siegert ging der Bau schnell voran. Schon am 1. Pfingstfeiertag, am 13. Mai 1894, konnte man die Einweihung des neuen Bauwerkes feiern. Ein Festzug, angeführt vom Stadtmusikchor, zog vom Marktplatz hinaus auf die Anhöhe zu dem mit Fahnen, Girlanden und Kränzen geschmückten Turm. Vor einer zahlreich versammelten Einwohnerschaft, den Erzgebirgsvereinen Jöhstadt, Bärenstein und Pleil/Sorgenthal, sowie einigen auswärtigen Schaulustigen hielt Bürgermeister Köhler die Weiherede, Glückwunschtelegramme wurden verlesen, so u.a. vom Prinz Georg, dem Herzog von Sachsen. Brauereimeister Emil Blum spendierte einige Fässer "Jöhstädter Helles", zur Nachfeier traf man sich beim Nestler im "Schützenhaus"...

Der Turm hatte eine Höhe von 12 m und war aus starken Kanthölzern stockwerkweise aufgebaut. Eiserne Klammern verankerten diese mit dem Grundsteinmauerwerk. Der erzgebirgische Gruß "Glück Auf" und das Stadtwappen schmückten den Eingang. Von seiner oberen Plattform hatte man eine herrliche Rundumsicht über den Erzgebirgskamm und eine großartige Fernsicht. Zehn Jahre lang wurde der Turm gegen Eintrittsgeld von Tausenden besucht, hunderte Schulklassen hatten ihn als Reiseziel gewählt – so berichtet das Annaberger TAW. Doch dann war er baufällig geworden und mußte 1905 gesperrt werden. Die Amtshauptmannschaft verfügte seine Abtragung, weil er bei Wind schon gefährlich schwankte und einzustürzen drohte. Im Mai 1906 wurde der Turm eingerissen, nachdem "ruchlose Bubenhände" schon versucht hatten, ihn abzubrennen !

1907 ließ daraufhin der Fabrikant Anger rechts neben der nach Weipert führenden Straße ein "Aussichtsgerüst" errichten. Es lag näher bei der Stadt und trotzdem noch in einer Höhe von 810 m über NN. Es war aber kein rechter Ersatz für den alten Aussichtsturm und wurde in der Zeit des 1. Weltkrieges wieder abgetragen. Heute stehen dort die Windkraftanlagen.

Die Jöhstädter mußten neidisch zusehen, wie 1912 gegenüber auf dem Bärenstein ein Berghaus mit Aussichtsturm eingeweiht wurde. Nun sie bekamen dort in der Gaststube extra ihre "Jöhstädter Ecke" eingerichtet, als Dank für ihre aufgebrachten Spenden.

Ja, manchmal möchte man den Enthusiasmus unserer Großväter für solche "Nebensächlichkeiten" in unsere Zeit zurückholen, wen könnte man schon heute für den Bau eines Aussichtsturmes begeistern ...?!

 

Glück Auf !

Wolfgang Süß

07. September 2000

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